Gerichtsurteile
Das Schweizer Bundesgericht bestätigte am 27. Juni 2019 die Bestrafung eines Fluglotsen wegen Störung des öffentlichen Verkehrs (StGB Art. 237) (BGer 6B_1220/2018). Kurz darauf, am 29. Oktober 2019, fälltedas Bundesgericht ein weiteres Urteil betreffend die Störung des öffentlichen Verkehrs (BGer 6B_332/2019). In diesem Fall verneinte das Bundesgericht jedoch die Strafbarkeit des Fluglotsen. Die beiden Urteile scheinen nur schwer miteinander vereinbar und stehen im Widerspruch zu europäischen Rechtsnormen, die eine Strafverfolgung bei Vorfällen ohne Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit explizit nicht vorsehen (EU 376/2014).
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In beiden Fällen wurde vom Gericht der Schlussbericht der Sicherheitsuntersuchungsstelle (SUST) beigezogen, obwohl die Ergebnisse einer Sicherheitsuntersuchung nicht zur Klärung von Schuld- und Haftungsfragen dienen sollten. SUST-Untersuchungen sollen Erkenntnisse erzielen, mit denen künftige Unfälle und Gefahrensituationen vermieden werden können und die einer Verbesserung der Sicherheit dienen.
Übersicht über die Gerichtsurteile
Freispruch durch das Bundesgericht
Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland warf dem Beschuldigten vor, am 15. März 2011 als verantwortlicher Flugverkehrsleiter am Flughafen Zürich zwei Verkehrsflugzeugen (ATC-Rufzeichen SWR 1326 und SWR 202W) praktisch zeitgleich die Startfreigabe erteilt zu haben, worauf es zwischen den beiden Flugzeugen zu einer gefährlichen Annäherung mit hohem Kollisionsrisiko gekommen sei. Hätte das Flugzeug SWR 202W den Startlauf fünf Sekunden früher eingeleitet und den Start nicht abgebrochen, wäre es gar zu einer Kollision gekommen, was mit höchster Wahrscheinlichkeit die Verletzung oder Tötung vieler Menschen zur Folge gehabt hätte. Am 7. Dezember 2016 sprach das Bezirksgericht Bülach den Beschuldigten vom Vorwurf der fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs im Sinne von Art. 237 Ziff. 1 in Verbindung mit Art. 237 Ziff. 2 StGB frei. Das von der Staatsanwaltschaft angerufene Obergericht des Kantons Zürich befand ihn hingegen am 4. Dezember 2018 für schuldig. Es verurteilte den Beschuldigten zu einer bedingten Geldstrafe von 90 Tagessätzen.
Die gegen das vorinstanzliche Urteil eingereichte Beschwerde wurde in der Folge vom Bundesgericht gutgeheissen. Der angefochtene Entscheid wurde aufgehoben und die Sache zur Neuregelung der Kostenfolgen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Freispruch durch das Bundesgericht
Nachdem sich am 22. August 2012 am Flughafen Zürich zwei Flugzeuge auf den sich kreuzenden Pisten 16 und 28 angenähert hatten, eröffnete die SUST am 10. September 2012 eine Untersuchung. Mit dem Schlussbericht Nr. 2203 am 21. Januar 2014 schloss die SUST ihre Untersuchung ab.
Der Beschuldigten hat dem Gericht zufolge mit der Erteilung der Startfreigabe an die Saab, der unzureichenden Überwachung des Endanflugs des Sportcruisers sowie der Anweisung an die Besatzung des Sportcruisers zur Rechtskurve in vorhersehbarer und vermeidbarer Weise gegen allgemeine Sorgfaltspflichten eines Fluglotsen sowie gegen den allgemeinen Gefahrensatz verstossen. Er habe deshalb die objektiv-konkrete Gefahr für Leib und Leben der Besatzung des Sportcruisers in pflichtwidrig unvorsichtiger Weise herbeigeführt. Das Handeln des Beschuldigten habe demnach sämtliche Tatbestandselemente der fahrlässigen Störung des öffentlichen Verkehrs im Sinne von Art. 237 Ziff. 1 StGB in Verbindung mit Ziff. 2 StGB gestört.
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Das Urteil wurde weitergezogen. Das Obergericht des Kantons Zürich hat am19. Februar 2021 das Urteil gekippt und den Flugverkehrsleiter freigesprochen. Ihm konnte kein fehlbares Handeln und keine fahrlässige Störung des Öffentlichen Verkehrs nachgewiesen werden.
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Die Staatsanwaltschaft hat das Urteil an das Bundesgericht weitergezogen. Dieses hat die Beschwerde am 29.06.2022 abgewiesen, somit wurde der Freispruch rechtskräftig
Verurteilung durch das Bundesgericht
Am 12. April 2013 kam es im Schweizerischen Luftraum zu einer Annäherung zwischen zwei Verkehrsflugzeugen. Der geringste Abstand zwischen den beiden Maschinen betrug horizontal 0.8 nautische Meilen (NM; 1.5 km) und vertikal 650 Fuss (ft; 198 m). Der vorgeschriebene Mindestabstand beträgt horizontal 5 NM (9.26 km) und vertikal 1000 ft (304.8 m). Der Vorfall wurde von der SUST untersucht.
Nach Abschluss der Untersuchung eröffnete die Bundesanwaltschaft ein Strafverfahren. Mit Strafbefehl vom 12. Dezember 2017 sprach die Bundesanwaltschaft den diensthabenden Flugverkehrsleitenden wegen fahrlässiger Störung des öffentlichen Verkehrs gemäss Art. 237 Ziff. 2 StGB schuldig. Den Piloten verurteilte sie wegen einer an Bord eines Luftfahrzeugs begangenen Straftat (fahrlässige Störung des Verkehrs) mit Strafbefehl vom 4. April 2017. Gegen den Strafbefehl hat der Flugverkehrsleitende Berufung eingelegt. Das Bundesstrafgericht bestätigte am 30. Mai 2018 den Schuldspruch. Der Flugverkehrsleitende zog das Urteil mit einer Beschwerde weiter ans Bundesgericht. Diese wurde vom Bundesgericht am 27. Juni 2019 abgewiesen.
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