Die Just Culture Plattform hat in Zusammenarbeit mit dem Dachverband der Schweizer Luftfahrt ein Positionspapier entwickelt, welches die Ansprüche der Aviatik Stakeholders der Schweiz an die Umsetzung der Just Culture Prinzipien formuliert. Auf 15 Seiten sind diese prägnant, offen aber konstruktiv formuliert. Die Zusammenfassung finden Sie unten, das komplette Whitepaper steht auch als Download im PDF Format zur Verfügung. Vielen Dank an Ihrem Interesse in dieser Angelegenheit.
Zusammenfassung
Mit der Annahme des Postulats "Redlichkeitskultur im Schweizer Recht" (20.3463) durch den Bundesrat, ergibt sich für die Schweizer Luftfahrt die Möglichkeit, die Sicherheit zu stärken und zu verbes-sern. Mit einer auf die heutigen Gegebenheiten ausgerichteten Anpassung der rechtlichen Rahmen-bedingungen können proaktiv und auf relevante Weise Fehler in den High Reliability Organisationen der Aviatik vermieden werden. Das geschieht durch das Lernen aus vergangenen Fehlern. In risiko-behafteten und hochkomplexen Systemen hält dieser Ansatz die Sicherheit nicht nur aufrecht, sondern gewährleistet sie auch. Er bedingt eine auf Vertrauen basierte Redlichkeitskultur (Just Culture), die sich um eine sachliche Güterabwägung zwischen der Sicherheit einerseits und den Ansprüchen an eine ordnungsgemässe Rechtspflege andererseits bemüht.
Die heutige Gesetzgebung verpflichtet die Organisationen in der Schweizer Luftfahrt, die Prinzipien der Redlichkeitskultur anzuwenden. Sie auferlegt zudem verschiedenen Akteuren eine Meldepflicht. Sie garantiert aber auch den Schutz der jeweiligen Informationsquelle, indem die Vertraulichkeit gewahrt bleibt. Dies, sofern Arbeitsfehler (honest mistakes), nicht aber vorsätzliche oder grobfahrlässige Handlungen vorliegen.
Ebenso sind sensible Informationen, welche die Sicherheitsuntersuchungsstelle (SUST) im Rahmen von Untersuchungen erhebt oder anderweitig erhält, gesetzlich geschützt und dürfen nicht für andere Zwecke verfügbar gemacht werden.
In beiden Fällen dient der Schutz der Informationsquelle dazu, die Melde- und Auskunftsbereitschaft beizubehalten - oder idealerweise zu erhöhen. Nur so kann möglichst viel über die Ursachen des Vor- oder Unfalls in Erfahrung gebracht werden. Das gilt insbesondere für systemische Kontexte. Jede Zu-rückhaltung bei der Auskunftserteilung, die mit der Angst vor disziplinarischen oder strafrechtlichen Konsequenzen verbunden ist, hindert die Ursachenfindung. Das wiederum verhindert, dass das System lernt und Fehler vermieden werden können.
Doch nach heutiger Rechtslegung gilt: Wird ein Vor- oder Unfall nicht allein im Rahmen des Unternehmens behandelt, sondern strafrechtlich untersucht, kann der Schutz der Informationsquelle in Sicher-heitsuntersuchungen nicht mehr aufrechterhalten werden. Das wiederum impliziert das Problem der potenziellen Selbstanklage. Das aktuelle Schweizer Recht untergräbt daher die Melde- respektive Aussagebereitschaft der Betroffenen und schwächt damit auch die Bemühungen der Organisationen der Schweizer Luftfahrt nach höchstmöglicher Sicherheit.
Bei der Just Culture geht es nicht um eine generelle Straffreiheit. Unakzeptables Verhalten wie vor-sätzliches oder grobfahrlässiges Handeln soll im Hochrisikoumfeld der Luftfahrt nach wie vor sanktio-niert werden. Es geht vielmehr darum, gesetzliche Regelungen und Mechanismen zu implementieren, die es den Behörden erlauben, auf transparente Art und Weise eine für die Gesellschaft wichtige Gü-terabwägung vorzunehmen. In den Bemühungen sowohl für die Sicherheit der Öffentlichkeit als auch für die Strafverfolgung mit Sanktionierung zu sorgen, ist der Staat mit einem Zielkonflikt konfrontiert, den er im Einzelfall lösen können soll. Die durch die Strafverfolgung nachteiligen Auswirkungen auf die Sicherheit sollen künftig aber stets transparent gegen die Vorteile eines Strafverfahrens abgewo-gen werden. Die AEROSUISSE empfiehlt den betroffenen Behörden und den Parlamentarierinnen und Parlamentariern, die in diesem Positionierungspapier dargelegten Anliegen der Schweizer Luft-fahrt, bei ihren Bemühungen um die weitere Rechtsentwicklung, zu berücksichtigen.
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